Moderiert: Wo Insekten das 19. Jahrhundert schmeckt

Auf der Bodensee-Insel Reichenau steht Welterbe. Mit Wandmalereien, deren älteste Schichten aus dem 10. Jahrhundert stammen. Es gibt aber auch Übermalungen und Ergänzungen aus dem 14. und aus dem 19. Jahrhundert. Und jetzt kommts: Experten haben nach – für ihre Zeit – revolutionären Untersuchungen in den 80er Jahren mit Akribie weiter geforscht – Luftfeuchtigkeit, Staubzusammensetzung, Luftqualität, es gibt wenig, was die Denkmalschützer da nicht in jedem einzelnen Moment messen, kontrollieren und auswerten. Und dabei haben sie unter anderem herausgefunden, dass Insekten, für das bloße Auge unsichtbar, an den Farben nagen. Undzwar nicht an denen aus dem 10. Jahrhundert, nicht an denen aus dem 14. – nur die Schichten aus dem 19. schmecken den Viechern.

Woher ich das weiß? Ich habe meine erste Online-Konferenz moderiert. Zwei Tage lang, für die VDL, die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger. Und das war echt eine große Nummer.

Kurz zu den Rahmenbedingungen: Um die 250 Teilnehmer, zugeschaltet aus ganz Deutschland. Die Zentrale des Wahnsinns: das wegen Corona noch geschlossene Café im Schloss in Schwerin. Dort werkelten hinter den Kulissen: sieben Leute für die Technik und die Betreuung der Teilnehmer in Chats und im Helpdesk, zwei Moderatoren, die dafür zuständig waren, Fragen und Diskussionsbeiträge aus den Chats auf ein iPad zu schicken, von dem ich die dann vorlesen durfte.

Für die technische Organisation zuständig war das Team von „mediapool“, das geleitet wird von einem Professor. Siegfried Paul ist Bühnenmeister von Beruf und ist in seiner Profession schon vor vielen Jahren zum Professor berufen worden. Eigentlich müsste er nicht mehr arbeiten – ist also emeritiert, hat aber mit Corona erkannt, dass gerade er mit seiner Firma Leuten, die gar keine Ahnung von Online-Konferenzen haben, den Hintern retten kann. Vor allem Leuten aus der Kulturbranche. Und genau das hat er auch für die Landesdenkmalpfleger getan: Jeder der Vortragenden wurde im Vorfeld angerufen – mit jedem wurden die technischen Grundlagen geklärt. Für die Teilnehmer stand im Vorfeld und während der Konferenz ein Helpdesk zur Verfügung mit Telefon, Chat und E-Mail. Dazu gab es ein Team, dass während der Konferenz die Vortragenden vorbereitet hat, direkt vor ihrem Auftritt, das geprüft hat, ob Präsentationen da sind, Mikrofon und Kamera der Rednerinnen und Redner funktionieren, ob alle wissen, wie der Bildschirm freigegeben wird. Ein ungeheurer Aufwand.

Darüber hinaus hat „Music spezial“ die technische Abwicklung erledigt – Ton und Bild konnten sich in jedem Moment sehen lassen – draußen und in der Zentrale. Kontrollmonitore, Präsentationsmonitore, Bildmischtechnik, Netztechnik… dazu die Leute… irre.

 

Vier Kameras standen im Schloss zur Verfügung, sorgsam hatte Prof. Paul mit seinen Leuten die Bühne inszeniert. Für die Eröffnung des ersten Tags haben wir vom Balkon aus gesendet, am zweiten Tag dann gabs die Begrüßung mit Blick in den Schloss-Innenhof – und mit Baugeräuschen, die akustisch anzeigten: die Arbeit am Denkmal endet nie… Am letzten Tag krönte noch eine Podiumsdiskussion die Sache und was soll ich sagen, nahezu alles ist pannenfrei durchs Netz gegangen. Auf unserer Seite und bis auf wenige kleine Pannen auch auf Seiten der Vortragenden.

Und die Stimmung war dabei auch noch bestens. Lauter freundliche Leute hinter den Kulissen – die haben auch mich wie auf Schienen durch die Veranstaltung gerollt.

 

Und das hieß für mich: Anwesenheit von 8 bis 17 beziehungsweise 8 bis 18 Uhr und solange Vorträge liefen, habe ich auf der Bühne gesessen – es hätte ja immer sein können, dass technisch irgendetwas schief geht und ich moderierend eingreifen muss. Zwei Tage dieser Art, soviel Konzentration, wie auf Dauer geht und das bei Vorträgen, die in ihrer Nerdhaftigkeit kaum zu überbieten sind. Das soll überhaupt nicht despektierlich klingen – ich liebe so etwas. Echte Fachleute besprechen miteinander echte Fachleute-Sachen in echter Fachleute-Sprache.

Und ich kann nicht verhehlen, dass es da auch Vorträge gab, die unglaublich interessant waren – auch für mich als Laien. Der Bergpark Wilhelmshöhe etwa betreibt seine Welterbewasserspiele ausschließlich mit natürlichem Wasserdruck und ich hab ein Foto davon gesehen, wie die mehr als acht Meter hohe Herkulesfigur von innen restauriert wird. Die besteht nämlich aus Kupferplatten und ist hohl. Oder: das Olympische Dorf in Elstal – gebaut für die Propaganda-Spiele 1936 – dann Militärareal, heute Wohngebiet… Wie geht das zusammen, was kann die Denkmalpflege da retten? Oder: Peenemünde – wo die eine Geschichte (Juchuh! Raketen!) nicht zu trennen ist von dem Leid tausender Menschen, die als Arbeitssklaven eingesetzt wurden. Oder: Die Kulturgeschichte der Landschaft um das Kloster Chorin – von Kanalsystemen, angelegt von Zisterziensern, bis hin zu sowjetischen Truppentransportern, eingegraben im Wald.

 

Ein bisschen irre ist das Verhältnis von Konferenzzeit zu Moderationszeit: ich hab mal die vorbereiteten Texte durch die Analyse gejagt und die sagt: Ich habe knapp 20 Minuten geredet. Insgesamt! Dazu kommen natürlich noch die Diskussionen und ein paar wenige improvisierte Moderationen, aber für mich fühlt es sich an, als hätte ich mindestens die Hälfte der Zeit selbst geredet… mal so am Erschöpfungsgrad gemessen.

Was bleibt: ich würde mal mutig behaupten ein recht tiefes Verständnis dafür, wie Denkmalpfleger ticken und ein tiefer Respekt vor den Leuten im Hintergrund. Und: natürlich wäre ich hier nicht so euphorisch geradezu, wenn mir nicht die Veranstalter und die Leute, an Technik und Inszenierung recht deutlich mitgeteilt hätten, dass ich – ich sags mal mit dem Versuch, nicht ganz zu eitel zu sein – die Erwartungen erfüllt habe.

Vielen Dank für Fotos: René Gurny und an Prof. Siegfried Paul.

3 thoughts on “Moderiert: Wo Insekten das 19. Jahrhundert schmeckt

  1. Annika says:

    Zwanzig Minuten Redezeit in zwei Tagen?!
    Im nicht allzu fernen Sauerland würden sie kopfschüttelnd sagen: „Wat laaaabert der so viel.“ 😉

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  2. Sabine Klemm says:

    Wow, das ist ja spannend! Danke für deinen ausführlichen Bericht, lieber Thomas. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dabei gewesen zu sein.

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  3. Scriba, Martin says:

    Hut ab, vor den Denkmalpflegern und dem Moderator!!
    20 Minuten Redezeit – das ist in etwa Predigtlänge. Mein Vorteil: Ich hab das am Stück und danach Ruhe…
    Zur Eröffnung des Wichernsaales in Schwerin könnten wir gemeinsam mal was machen. Schweriner Blitzlichtgeschichten an 1869 . Irgendwann im September soll’s da einen Termin geben… Bis dahin schönen Sommer

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