Ende der Produktion vor 30 Jahren: Meine Trabant-Geschichte

Die folgende Kolumne hab ich für NDR Info geschrieben, zu einem anderen Trabi-Jubiläum. Da sie mittlerweile aus dem Netz ist, hole ich sie jetzt, da sich das Produktionsende zum dreißigsten Mal jährt, nochmal hervor:

Papyrus mit braunem Dach. So war er. Gut zehn Jahre alt und für meine Eltern der Traum von Freiheit. Gebraucht gekauft, da waren meine Eltern Anfang dreißig und ich sieben Jahre alt. Papyrus, das meinte damals ein schmutziges Weiß – braunes Dach, das spricht für sich. Später war auch der Kotflügel braun, ein Austauschkostflügel war das, nach einem Unfall angebaut und hier bedeutet braun eher so ochsenblutrot, wie die Dielen in alten Berliner Mietshäusern. Wie er eben aussah, der unlackierte Kunststoff, aus dem die Trabihaut gemacht war.

Nach Berlin sind wir nie gefahren, warum auch, da kannten wir ja niemanden, anders als in Thüringen. Dorthin sind wir getuckert, mein Vater und ich, in den Winterurlaub, acht Stunden Fahrt, mindestens, und weil unser Trabi kein Autoradio hatte, musste der schwere, holzverkleidete Kassettenrekorder Musik machen. Musik, das meint in diesem Fall Rauschen, denn die Antenne, die mein Vater unserem Auto spendiert hatte, die diente mehr der optischen Verschönerung. Die Musik ahnte ich nur, wenn ich in mein Bettzeug gekuschelt, die DDR auf dem Rücksitz an mir vorbeiziehen ließ.

Rollgurte waren das große Ding damals. Ausgeliefert wurde unser Trabi nämlich noch mit einfachen, grauen Gurten, die jeder Fahrgast je nach seinem Leibesumfang neu einstellen musste. Rollgurte aus russischer Produktion sollten da Abhilfe schaffen, waren jedoch so sensibel, dass sie bei jeder auch noch so kleinen Unebenheit, ja sogar bei vorsichtigem Ziehen einrasteten und sich keinen Zentimeter mehr bewegten. Mein Vater hat sie trotzdem eingebaut und stolz vorgezeigt, wenn sich die Männer samstags beim Autowaschen trafen, zwischen den Fünfgeschossern in Schwerin.

Ein Trabi war damals ungefähr eine Wohnungseinrichtung wert. Das erfuhr ich, als meine Eltern sich entschieden, getrennte Wege zu gehen – wobei gehen in diesem Fall der Part meiner Mutter war, die nämlich hatte gar keinen Führerschein und blieb mit mir und der Wohnungseinrichtung zurück, während mein Vater fuhr. Mit dem Trabant nämlich in die nächste Kleinstadt, um ganz von vorn anzufangen, in einer leeren Wohnung. Von nun an stand er nur noch zweimal im Monat bei uns vor der Tür und hupte mich auf den Beifahrersitz für die Vater-Sohn-Nachmittage.

Acht Jahre hat der Trabi gehalten, dann war auch die DDR hinüber und Vater hatte die Pappe satt.

Zwei Jahre später war meine Zeit gekommen. Ein Nachbar verkaufte mir für 350 Mark seinen Trabant in deluxe Ausführung – heißt: mit Rallyestreifen, Kopfstützen, einem Benzinhahn in Reichweite und einem Lenkrad mit Schonbezug. Das Autoradio hatte ich nachgerüstet und egal welche Kassette ich einlegte – es klang immer nach Garagenpunk. Das prägt. Mit dem Trabi bin ich erst über Wiesen und Felder geheizt – ohne Fahrerlaubnis, später dann nach bestandener Prüfung – an der Ostseeküste entlang, bis rauf nach Rügen und weil das 18. Lebensjahr und das erste Auto in der Rückschau ja jedem, der einen Funken Gefühl im Leib hat, Tränen in die Augen treiben, wird auch mir ganz warm ums Herz, jetzt, da ich Ihnen davon erzähle.

Nach Berlin sind wir ja schon als Familie nie gefahren, das hatte ich erwähnt, und so war es nur konsequent, dass ich vor Beginn des Studiums in der Weltstadt den Trabi verkaufte. Ohne Wehmut. Wer mit 21 eines Trabis wegen wehmütig ist, hat ja auch was falsch gemacht.

Neulich hab ich noch einmal in einem Trabi gesessen. Und ich hab ihn abgewürgt. Gleich dreimal hintereinander. Vielleicht ist unsere Zeit wirklich vorbei, hab ich da gedacht. Und die Sitze, die waren zu schmal und beim Aussteigen war keinerlei Grazie mehr in meinen Bewegungen. Das hatte ich anders in Erinnerung.

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